Wiederbeschaffungswert: Bedeutung und Berechnung im Schadensfall
Der Wiederbeschaffungswert (WBW) gibt an, welchen Geldbetrag ein Fahrzeug kurz vor dem Eintritt eines Schadensereignisses auf dem Gebrauchtwagenmarkt wert war. Er beschreibt also die Summe, die notwendig wäre, um ein gleichwertiges Fahrzeug zu erwerben – hinsichtlich Alter, Laufleistung, Ausstattung und Zustand.
Für Gutachter ist der Wiederbeschaffungswert eine entscheidende Kenngröße bei der Schadenbewertung, für Versicherungen ist er Grundlage für die Regulierung bei Totalschäden, Diebstahl oder wirtschaftlich unrentabler Reparatur.
Abgrenzung: Wiederbeschaffungswert, Zeitwert und Restwert
Professionelle Beschreibung des Fahrzeugzustands
Begriff | Beschreibung |
Wiederbeschaffungswert | Marktgerechter Kaufpreis für ein gleichwertiges Fahrzeug vor dem Schaden |
Restwert | Marktwert des beschädigten Fahrzeugs nach dem Schaden |
Zeitwert | Wert unter Berücksichtigung von Alter und Nutzung – annähernd identisch mit dem WBW |
Wichtig: Bei der Schadenabrechnung wird meist die Differenz aus Wiederbeschaffungswert und Restwert ausgezahlt. Dieser Betrag wird als Wiederbeschaffungsaufwand bezeichnet.
Wann liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor?
Ein wirtschaftlicher Totalschaden liegt vor, wenn die geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen. Das ist unabhängig davon, ob das Fahrzeug technisch noch fahrtüchtig ist oder nicht.
Beispiel
- Wiederbeschaffungswert: 8.500 €
- Reparaturkosten laut Gutachten: 10.200 €
- Restwert: 1.200 €
Da die Reparaturkosten höher als der WBW sind, liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor. Die Versicherung würde 8.500 € – 1.200 € = 7.300 € als Entschädigung vorschlagen.
Die 130%-Regel: Ausnahme bei Reparatur
Versicherte haben unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, ihr Fahrzeug trotz wirtschaftlichem Totalschaden reparieren zu lassen:
Voraussetzungen:
- Die Reparaturkosten dürfen nicht mehr als 30 % über dem WBW liegen (max. 11.050 € bei WBW von 8.500 €).
- Die Reparatur erfolgt vollständig und fachgerecht gemäß Gutachten.
- Das Fahrzeug bleibt mindestens 6 Monate im Besitz des Halters und wird genutzt.
Diese Regel ermöglicht eine Reparatur bei emotionalem Wert des Fahrzeugs z.B. bei einem Oldtimer.
So wird der Wiederbeschaffungswert ermittelt
Die Ermittlung des WBW erfolgt individuell durch den Kfz-Gutachter. Dabei spielen folgende Kriterien eine Rolle:
- Fahrzeugdaten: Marke, Modell, Erstzulassung, Motorisierung, Laufleistung
- Ausstattung und Zustand: Sonderausstattungen, Pflege, Wartungshistorie, Vorschäden
- Marktanalyse: Vergleich mit aktuellen Angeboten in Onlinebörsen und regionalen Händlerpreisen
- Marktsegment: Privatverkauf vs. Händlerverkauf, saisonale Schwankungen
- Regionale Unterschiede: Preise variieren stark je nach Standort
Zur Unterstützung werden Datenquellen wie DAT (DAT Preise) oder Schwacke genutzt. Der Gutachter entscheidet dabei, ob ein regionaler oder überregionaler Ansatz besser geeignet ist.
Brutto oder netto: Was zahlt die Versicherung?
Wenn der Schaden fiktiv abgerechnet wird, also ohne tatsächliche Reparatur oder Ersatzbeschaffung, wird die Entschädigung netto gezahlt (ohne Umsatzsteuer).
Nur wenn die Wiederbeschaffung mit einer Rechnung nachgewiesen wird, bei der Umsatzsteuer ausgewiesen ist, zahlt die Versicherung auch brutto (inkl. USt.).
Beispiel:
- WBW brutto: 9.500 €
- USt-Anteil: 1.512,61 €
- Ohne Rechnung erhält der Geschädigte nur 7.987,39 € (netto).
Wann ist ein Gutachten mit Wiederbeschaffungswert sinnvoll?
Die Ermittlung des WBW ist insbesondere in folgenden Fällen sinnvoll:
- Verdacht auf wirtschaftlichen Totalschaden (Reparaturkosten > 50 % des Marktwerts)
- Fiktive Abrechnung (Geschädigter möchte sich auszahlen lassen statt zu reparieren)
- Streitigkeiten mit der Versicherung über Schadenshöhe oder Erstattungsbetrag
In Bagatellfällen mit kleinen Schäden genügt oft ein Kostenvoranschlag, bei größeren Schäden ist ein qualifiziertes Gutachten unerlässlich.
Rechtliche Aspekte & Eigentum
Nach Auszahlung des Wiederbeschaffungswerts bleibt das Fahrzeug Eigentum des Geschädigten. Dieser kann es reparieren, verkaufen oder verwerten, wie er möchte.
Die Versicherung ist lediglich verpflichtet, den WBW abzüglich des Restwerts zu erstatten.
Tipps für Gutachter
- Dokumentieren Sie sämtliche wertbeeinflussenden Faktoren (z.B. Scheckheftpflege, Nachrüstungen, Zubehör)
- Ziehen Sie mehrere Vergleichsfahrzeuge aus unterschiedlichen Quellen heran
- Belegen Sie den WBW nachvollziehbar insbesondere bei älteren oder seltenen Fahrzeugen
- Stimmen Sie sich mit dem Kunden ab: Möchte er reparieren, ersetzen oder sich auszahlen lassen?
- Nutzen Sie Gutachter Software wie DYNAREX
Fazit: Warum der Wiederbeschaffungswert so wichtig ist
Der Wiederbeschaffungswert ist eine zentrale Rechengröße im Kfz-Schadenprozess sowohl für die Versicherungsregulierung als auch für die Planung des Fahrzeughalters.
Ein korrekt ermittelter WBW:
hilft, den tatsächlichen Wert eines Fahrzeugs nachvollziehbar darzustellen
schafft Transparenz und Fairness
schützt den Geschädigten vor finanziellen Nachteilen
bildet die Grundlage für die Anwendung der 130%-Regel